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Budike, Brett und Badeanzüge

Eine Geschichte über das wohl ambitionierteste Bierprojekt, made in Berlin.

Als ich im Juli 2017 das Gewinnspiel der Brauerei Lemke auf Facebook gesehen habe, dachte ich nicht daran, auch nur den Hauch einer Chance auf einen Gewinn zu haben. Schließlich habe ich in meinem Leben noch nie etwas gewonnen. Das mag eventuell daran liegen, dass ich Gewinnspiele eher meide, oder besser gesagt, dass ich gar nicht erst versuche an einem teilzunehmen.

Dieses eine Mal habe ich mitgemacht, gab es doch einen Preis zu gewinnen der mich interessierte - Eine exklusive Berliner Weiße Verkostung, der bis dato noch unveröffentlichten Budike Weiße von Lemke Berlin. Und so geschah für mich ein kleines Wunder:
Ich wurde tatsächlich ausgewählt, in kleinem Kreise die neue Weiße probieren zu dürfen.

Der Tisch in der alten Füllerei war schick gedeckt und die sechs geladenen Gäste (inkl. meiner Person) nahmen Platz. Mit dabei waren die Brauer Andreas Hegny, Sebastian Oberwalder und der Brauereichef höchstselbst - Oliver Lemke. Dieser läutete den Abend mit einem “Herzlich Willkommen” ein und kam auch gleich zum Punkt: Es geht um Weiße, um Forschung und Bierliebhaberei, um Berliner Geschichte und auch ein wenig ums Ego:

“Die Berliner Weiße ist klassisch ein Sauerbier. Historisch betrachtet kam sie mit den Franzosen, den Hugenotten hier her, dann hat sie sich im Laufe der Jahrhunderte immer mal wieder verändert. Da gab es halt mal gute Sude und mal schlechte Sude, aber auf jeden Fall muss es wohl seiner Zeit ein wirklich leckeres Getränk gewesen sein. Deshalb prägte Napoleon Bonaparte auch den Ausspruch: „Champagner des Nordens“.

Wenn wir heute ausgehen und eine Berliner Weiße von dem einzigen noch namhaften Produzenten- Kindl trinken, dann stellen wir fest, dass das mit dem, was es zu Napoleons Zeit gewesen sein muss wahrscheinlich wenig zu tun hat.”

Ein Bayer, ein Preuße und eine Idee…

Angefangen habe alles, so erzählt uns Oliver, mit einem Brauerkollegen: Herr Dr. Michael Zepf von der Bierakademie Doemens, seines Zeichens ausgewiesener Sauerbierfan, legte den Grundstein, indem er auf einem Treffen zu Oli sagte: „Warum machst du keine Berliner Weiße? Es gibt einfach noch keine vernünftige Berliner Weiße.“ Ein wenig verschämt, dass ausgerechnet ein Bayer ihn als Berliner Brauer auf die Weiße bringen muss, aber angetrieben von der guten Idee, machte er sich an sein arbeitsames Ziel: Eine mildsaure ausbalancierte, und vor allem eine authentische Weiße, nicht wie die aus den Siebzigern, sondern wie die zu Hugenottenzeiten: Ein wenig Frucht soll sie haben, ein wenig Säure und eine gewisse „Funkyness“. Eben ein wohlschmeckendes Sommergetränk zum Thema Champagner des Nordens, das trotz der geringen Alkoholkonzentration und hoher Drinkability komplex ist.

„Wir reden hier nicht von einem Imperial Stout, sondern von einem Bier mit ca. 3% Alkohol. Davon soll man auch mal zwei oder drei an warmen Sommertagen von trinken können.“

So erklärt es uns unser Gastgeber. Man sieht ihm die Leidenschaft für dieses Thema förmlich an. Kein Wunder, hat das Lemke Team schließlich jede Menge Aufwand betrieben, um die Budike, so wie sie heute ist, ins Glas zu bekommen. Man arbeite rege mit der VLB, der Versuchs- und Lehranstalt für Brauerei in Berlin zusammen. Herr Prof. Dr. Frank- Jürgen Methner, Leiter der VLB, ist nicht nur Oliver Lemkes Mentor, sondern auch der Entdecker der Brettanomyces (Britannische Hefe die oft Aromen fruchtige oder animalische Aromen hervorbringt) in klassischen Berliner Weißen, in den achtziger Jahren.

Er hat durch Analysen herausgefunden, dass diese Hefeart (Brett.), in Wechselwirkung mit anderen gängigen obergärigen Bierhefen, maßgeblich am Gär- und Reifeprozess, und somit am Geschmacksprofil von ursprünglichen Berliner Weißen beteiligt war.

Oliver Lemke sagt dazu:

„Nun kann man natürlich unterschiedliche Lösungsansätze verfolgen, um eine kontinuierliche und reproduzierbare Qualität zu erreichen. Unsere belgischen Brauerfreunde haben verschiedene Fermenter (Gärbehälter), in jedem arbeiten ca. 200 unterschiedliche Mikroorganismen zusammen und in jedem Fermenter unterscheidet sich das Ergebnis etwas von dem anderen. Die Kontinuität wird dann über das Verschneiden erreicht. Wir sind da einen eher deutschen Weg gegangen.“

Hierzu wurden alte Berliner Weiße Flaschen der VLB aus den fünfziger Jahren einer Analyse unterzogen, um herauszufinden, welche verschiedenen Organismen ursprünglich in der Weißen vorhanden waren. Diese Mischung an Mikroorganismen sollte dann reaktiviert in einer Würze (so nennt der Brauer sein noch nicht vergorenes Bier) eine ursprüngliche Berliner Weiße ergeben.

Leider war in den über 60 Jahre alten Flaschen nichts mehr am Leben und so konnte sich das Team von Lemke Berlin mehr als glücklich schätzen, als sie Dr. Manfred Starus, den letzten Leiter der ehemaligen Studienbrauerei im Berliner Wedding, für ihr Projekt gewinnen konnten. Er brachte nicht nur jede Menge Know-how, sondern auch noch einige originale Mikroorganismen aus den fünfziger Jahren, wie z.B. verschiedene Brettanomyces- und Laktobacillusstämme (Milchsäurebakterien) mit.

Es folgte eine fast zwei Jahre dauernde Versuchsreihe nach dem Prinzip „Try and Error“. Die Brauerei experimentierte mit unterschiedlichen Malzschüttungen sowie alten Gerstensorten und analysierte das Ergebnis sowohl sensorisch als auch in jeder Menge Laborarbeit. Während der Entwicklungsphase betreute die Brauerei gleich vier Diplomarbeiten zum Thema Sauerbier und Berliner Weiße (unter anderem auch die von Ulrike Genz, Schneeeule Berlin).

Über 150 Versuchssude wurden gebraut, und immer wieder die Mikroorganismen untersucht, um der Lemke Weiße ihren Charakter zu verleihen.

Oliver Lemke dazu:

„Bei Craftbeer reden immer alle nur über Hopfen, bei Malz wird’s dann schon eng und bei Hefe hört‘s bei den Meisten dann auf. Die Hefe ist gut zu uns Brauern, die Hefe ist mein Freund. Die macht dit Bier, wir geben ihr nur den Rahmen.”

Hefemanagement wird bei Lemke groß geschrieben, erfahren wir: Während die meisten Brauereien ihre Hefen einfach nach dem Gärvorgang „ernten“ und für den nächsten Sud wiederverwenden, verfolgt man in der Lemke Brauerei ein anderes Verfahren. Hier werden Reinzuchthefen von speziellen keimfreien Nährböden in einem eigens dafür vorgesehenen kleinen Gärbehälter herangezogen und zwar für jeden Sud neu. Das ergibt Sinn, weil Hefen sich über die Zeit verändern können und so eine Hefe bereits in der zweiten Führung (durchgeführte Gärung), bei falscher Handhabung einen deutlich schlechteren Endvergärungsgrad nach sich ziehen könnte. Ein spürbar süßeres Bier wäre die Folge, da der zuvor beim Maischen gelöste Zucker, in der Würze zu einem geringeren Teil verstoffwechselt werden könne.

Jedoch sei es umso schwerer, das richtige Hefemanagement für einen Bierstil zu finden, der in ursprünglicher Form nicht mehr existiert. Erschwerend kommt hinzu, dass sich die gängige Lehrmeinung zur notwendigen Anzahl an Hefezellen pro Liter Würze auf die Produktion von Pilsner Bieren beziehe. Daher könne diese nicht eins zu eins auf besondere Biere wie die Weiße angewendet werden. Gilt doch die Brettanomyces immer noch als Bierschädling. Es half also nichts, auch hier musste man einen schweren Weg bestreiten.

„Der Basti ist jeden Tag am Zellen auszählen und schickt mir Bilder. Wenn ich mein Telefon raushole und die Galerie öffne, hab ich fast nur Bilder von Hefen und Laktos.“ Meint Brauer Andi und zeigt uns belustigten Zuhörern stolz besagte Bilder „Das sind zum Beispiel die Laktos, hier die Hefe und das sind die Bretten.“

Eine reproduzierbare und gleichbleibende Qualität sei nur zu erreichen, wenn man eine homogene Mischung mit korrekter Zellzahl beim Anstellen (Zugabezeitpunkt der Hefe oder anderer Organismen) mit dem richtigen Wissen über die einzelnen Organismen findet und beibehält. „Ein gutes Bier einmalig herzustellen mag schwierig sein, ein gutes Bier immer wieder herzustellen, ist jedoch um Klassen schwieriger, aber der Kunde möchte sein Lieblingsbier gern immer wieder so trinken wie es ist“ erklärt Oliver.

Zu welchem Zeitpunkt jedoch der jeweilige Organismus der Budike Weiße zugegeben wird, ist ein entscheidender Faktor und wird nicht verraten.

Freddy Mercury im Badeanzug

„So! jetzt haben wir aber genug über dieses köstliche Getränk erzählt, jetzt wollen wir mal probieren.“

Uns werden je drei Berliner Weißen in die Gläser eingeschenkt. Die „klassische“ Variante von Berliner Kindl, die Budike und eine, aus einer Flasche ohne Etikett. Diese sei eine besondere Weiterentwicklung der Budike, erklärt Oliver. Man habe natürlich schon mit verschiedenen Sachen experimentiert.

Brauer Sebastian, der ebenfalls seine Studienarbeit zu diesem Thema geschrieben hat und seit kurzem fest in der Brauerei angestellt ist, sei hier federführend. So hat man zum Beispiel schon Weiße mit natürlichem Waldmeister, Kirschen oder auch besonders alkoholstarke bzw. auch alkoholfreie Weiße getestet.

„Das hat aber nicht funktioniert“ wirft Sebastian zu letzterem ein.

Im letzten Glas befinde sich jedenfalls eine Version der Budike, die auf Eichenchips gelagert wurde. Auch hierzu habe man, wie sollte es anders sein, natürlich wieder sehr viele Versuche durchgeführt. Unterschiedliche Holzarten und Toastgrade (die Intensität mit der das Holz geflammt wird) wurden mit verschiedenen Reifezeiten erprobt. Schlussendlich entschied man sich für besagte Chips, denn diese unterliegen, anders als bei ganzen Fässern keinen oxidativen Prozessen.

„Wenn die „Bretten“ Sauerstoff bekommen können sie Essig bilden und das will keiner haben.“

So heißt es während wir alle drei Proben zunächst beriechen. Dabei beginnen wir mit der Kindl Weißen und tasten uns dann über die „Budike“ an die „Berliner Eiche“ heran. Berliner Eiche wird der Name der holzgereiften Variante sein.

„Die Kindl Weiße stinkt, finde ich.“ meint eine Teilnehmerin. Ich persönlich empfinde den Geruch eher „unedel“, wie bei Bieren in denen zu viel Hopfenextrakt benutzt wurde. Nach kurzer Diskussion ist man sich am Tisch einig, dass es „muffig“ sehr gut trifft. Geschmacklich finde ich die Kindl Weiße nicht schlecht, mild säuerlich aber dann doch nicht richtig spannend, halt ein typisches Bier zum wegtrinken. Vielleicht ist es ähnlich wie ein Radler, einfach nur zum schnellen Erfrischen, aber nicht zum Genuss gedacht?

Das läge daran, dass die „Bretten“ gefährlich sind, die will man nicht in seinen anderen “normalen” Bieren haben, da könnten die Fehlaromen und damit großen Schaden bewirken, also lässt man sie halt einfach weg. Auch die Milchsäurebakterien werden einfach totgekocht (sogenanntes Kettle-souring) und können nicht mehr positiv zum Aromaprofil der Weißen beitragen. Die Folge ist, dass das Bier eindimensional und leer wirkt.

„Wir haben deswegen alles was mit Brett in Berührung kommt, streng von dem anderen Equipment getrennt. Dazu haben wir extra einen neuen Flaschenfüller gekauft, der angeblich 1200 Flaschen in der Stunde füllen kann, mit dem kämpfen wir zurzeit noch. Außerdem haben wir so Sprühfarbe gekauft, mit der wir alles was mit Brett in Berührung kommt markieren und nachts ziehen wir dann los und besprühen hier auf dem Hof noch die Wände mit Grafitty“, scherzt Andi und Oliver fügt hinzu: „Außerdem darf niemand mehr Basti die Hand geben. Wenn du trotzdem Brett in einem unserer anderen Biere findest sag mir Bescheid.“

Nun ist die Budike an der Reihe: Krautig, gemüseartig bis hin zu Gewürzgurken gepaart mit frischen Früchten wie Apfel und Sauerkirsche werden in der Runde assoziiert. Das ganze liegt auf einer sehr feinen Säure die nicht beißend sondern schön spritzig und erfrischend ist. Diese Weiße ist alles andere als eindimensional oder flach, sondern entdeckungsreich. Es überrascht nicht, dass dieses Bier bereits vor dem offiziellen Release einen Internationalen Award in Gold bei Meiningers abräumte. Das Resümee der Runde: Tolles Sommergetränk, super süffig!

Andi:

„Wir haben die Säure bewusst nicht so gewählt, dass es einem rückwärts die Zunge wegrollt, nicht wie bei anderen Berliner Weißen, sauer, sauer, sauer. Das können dann wirklich nur noch die Biernerds trinken, bei denen es dann teilweise nur noch um Extreme geht. Deshalb brau‘ ich so gern mit‘m Oli Bier, das sind alles Dinger, die man beim Grillen mit seiner Mutti trinken kann.“ Andi muss eine coole Mutti haben, denk ich noch so während Oliver beginnt das Etikett zu erklären:

„Wir haben es in der altbekannten Lemkeoptik mit der Zigarrenbanderole gehalten. Man soll sich auch optisch in die Zeit zurück versetzt fühlen. Deshalb haben wir hier die Badenden vor der Oberbaumbrücke in den tollen alten Badeanzügen genommen. Dem Mann mussten wir allerdings noch ‘nen Hut aufsetzen, weil er sonst wie Freddy Mercury aussah.“ -Alles lacht-  

Komm wir jehen in die Budike…

Oliver erklärt uns die Herkunft des Namen „Budike“ und warum dieser Name so gut zu dem Bier passt, dass wir gerade noch in hohen Tönen gelobt haben.

Zur Hugenottenzeit habe man einfach den französischen Begriff „Boutique“ eingedeutscht. Eine Budike war damals eine Art Kaufhalle in welcher man Lebensmittel und Bier kaufen konnte. Später waren es die Kneipen und Trinkhallen des einfachen Mannes, die der Budike-Weißen also einfache Weißen. Ein sehr passender Name, in Anbetracht dessen, dass es sich hierbei um das Ausgangsprodukt für verschiedene Veredelungen handelt.

„Es gab früher auch noch andere Weißesorten, z.B. wenn eine Weiße nicht so geworden war, hat man sie in Sand eingebuddelt und mehrere Jahre vergessen, die sogenannte Sandweiße, da muss Brett ganz furchtbar gewütet haben. Die besseren Weißen waren dann Champangnerweiße, oder auch Rieslingweiße. In einigen Berliner Budiken war es üblich in die Weiße noch einen Kümmelschnaps zu geben, das war dann die sogenannte Strippe, daraus soll sich dann auch später die heutige Variante mit dem Sirup entwickelt haben.“

Während Oliver dies erzählt, probieren wir die Berliner Eiche. Sie ist mein persönlicher Favorit des Abends: Es haben sich schon viele der frischen und krautigen Aromen abgebaut und zu reiferen Früchten weiterentwickelt. Die Säure wirkt milder, bindet sich besser in das Getränk ein. Dazu kommt würzige Eiche (Tannine) mit einer feinen Vanillenote. Eine echte Köstlichkeit.

Sirup? Jibt’s hier nich mehr! …

Die Budike ist inzwischen schon im Repertoire von Lemke Berlin angekommen und auch die Berliner Eiche wird es in Zukunft in Serie geben. Da eine Sauerbierproduktion aus oben genannten Gründen immer mit Risiken verbunden ist, sind die Produktionskapazitäten noch begrenzt. Die Biere wird es deshalb zunächst nur im Ausschank der brauereieigenen Gastronomien geben.

Später soll die bereits vorhandene zwanzig Hektoliter-Brauanlage am Schloss Charlottenburg zum Produktionsort der Berliner Weißen umgewidmet werden, damit diese dann auch wie gewohnt als Takeaway und im Onlinehandel in der Flasche verfügbar sind.

Eines wird es wohl in Zukunft ganz gewiss nicht mehr bei Lemke Berlin geben: Die Berliner Weiße von Kindl und Sirup.

Ich persönlich freue mich sehr, dass ein Stück Biergeschichte zurück nach Berlin gekommen ist und habe zum Abschluss noch ein Zitat von Oliver Lemke von diesem Abend aufgehoben:

„Wir sind nicht die Ersten, die in Berlin eine Weiße brauen, aber ich behaupte einfach mal, wir sind die Pingeligsten.“

Dem ist nichts hinzuzufügen. Danke Oliver

Carsten Helmholdt, Braufreunde Berlin e.V.

Fotos: Lemke Berlin/ Amt für Ideen